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Psychische Belastung von Physiotherapeut:innen

Haben psychische Belastungen einen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit und mentale Gesundheit von Physiotherapeut:innen? Christina Baumann untersuchte das in ihrer Masterarbeit und auch, welche Rolle dabei die interessierte Selbstgefährdung spielt.

Die Masterarbeit

Im Jahr 2022 gab es im Gesundheitswesen nicht nur die meisten Fehltage infolge psychischer Erkrankungen, sondern auch über 44% mehr Krankheitsfälle als im Durchschnitt in allen anderen Berufszweigen. Ein Drittel der Beschäftigten im Humandienstleistungsbereich sind beim Patientenkontakt mit „emotionalen Anforderungen“ konfrontiert. Auch der steigende Personalmangel in dieser Branche hinterlässt seine Spuren. Neben den genannten Belastungen geben immer mehr Beschäftigte an, dass sie Überstunden machen, auf Pausen verzichten und öfter auch mal krank arbeiten gehen, da ihre Arbeitsaufgaben sonst nicht erledigt werden.

Dieses Bewältigungsverhalten beschreibt die Arbeitsmedizin als „interessierte Selbstgefährdung“. In ihrer Masterarbeit ermittelte Christina Baumann den Einfluss von psychischen Belastungen auf die Arbeitszufriedenheit und den mentalen Gesundheitszustand von Physiotherapeut:innen und untersuchte, ob die Verhaltensweisen der „interessierten Selbstgefährdung“ diesen Zusammenhang vermitteln.

„Anders als bei der Gruppe der Ärzt:innen und Pfleger:innen gibt es speziell für die Physiotherapie bisher kaum empirische Studien über die psychischen Belastungen im Beruf und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden, die Arbeitszufriedenheit und die Gesundheit der Physiotherapeut:innen“, so Alexander Wendland, der Christina Baumann bei ihrer Masterarbeit betreute. „Das überrascht umso mehr, da die Physiotherapie ebenfalls von großer gesellschaftlicher Bedeutung ist, soll sie doch u.a. Patient:innen nach einer Erkrankung dabei behilflich sein, die Alltagsbewältigungs­fähigkeit wiederzuerlangen.“

Die Methodik

Christina Baumann erfasste in einer Online-Befragung mittels zweier Fragebögen vielfältige Aspekte unter 103 Physiotherapeut:innen: psychische Belastung (emotionale und qualitative Anforderungen, Work-Privacy-Konflikt), Ausdehnen der Arbeitszeit, Einnahme von Substanzen zur Erholung, Präsentismus (krank arbeiten), Arbeitszufriedenheit und den mentalen Gesundheitszustand. Sie berechnete 30 mögliche Mediationsanalysen – ein statistisches Verfahren, mit dem man versucht, Kausalität und die zeitliche Abfolge zwischen verschiedenen Variablen zu etablieren.

Die Ergebnisse

Christina Baumann hat in ihrer Masterarbeit herausgefunden, dass…

  • Emotionale und quantitative Anforderungen die höchsten Werte im Bereich der psychischen Belastung aufweisen.
  • Ein „Ausdehnen der Arbeitszeit“ und „Präsentismus“ die häufigsten selbstgefährdenden Verhaltensweisen unter Physiotherapeut:innen darstellen.
  • Der mentale Gesundheitszustand mit einer stark ausgeprägten Müdigkeit und körperlichen sowie emotionalen Erschöpfung einhergeht.
  • Die Arbeitszufriedenheit niedrigste Werte in Bezug auf den Faktor Lohn/Gehalt aufzeigt und dass knapp 20% ernsthaft darüber nachdenken, den Beruf zu wechseln oder ihn bereits gewechselt haben.

Auch für sich persönlich nimmt sie ihre Ergebnisse ernst: „Ich habe nun regelmäßige Pausen, vor allem fürs Essen, eingeführt und die Arbeitszeit so begrenzt, dass ich die anfallenden emotionalen und quantitativen Anforderungen in der Physiotherapie besser abpuffern kann. Nach einigen Jahren als Physiotherapeutin weiß man recht schnell welche Patient:innen mehr oder weniger Energie kosten. Dementsprechend können dann die Arbeitstage von der Länge variieren, sodass am Ende des Tages für mein Privatleben genügend Energie übrigbleibt.“
 

Fazit

Die wichtigsten Erkenntnisse für Christina Baumann aus ihrer Masterarbeit sind, dass…

  • sich psychische Belastungen negativ auf die mentale Gesundheit und die Arbeitszufriedenheit von Physiotherapeut:innen auswirken.
  • die Reduktion der Arbeitsstressoren, vor allem in den Bereichen der quantitativen und emotionalen Anforderungen notwendig ist, um die Arbeitszufriedenheit und den mentalen Gesundheitszustand zu bewahren.
  • Therapeut:innen selbstgefährdende Bewältigungsverhalten anwenden und daher ein Hauptaugenmerk auf die Facetten „Ausdehnen der Arbeitszeit“ und „Präsentismus“ gelegt werden sollte.

Unser Dozent Alexander Wendland betont die Wichtigkeit solcher Studien: „In Zeiten des Fachkräftemangels wird es auch für Physiotherapiepraxen immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden und langfristig auch im Beruf zu binden, was negative Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung von Patient:innen hat. Daher helfen solche empirischen Forschungsarbeiten dabei, die psychischen Belastungen der Physiotherapeut:innen aufzuzeigen und Ansätze für verhaltens- und verhältnisbezogene Interventionen, den Ressourcenaufbau und die Gesundheitsförderung für diese Berufsgruppe abzuleiten.“

Das Studium

Ihr Masterstudium in Prävention und Gesundheitspsychologie hat Christina definitiv vorangebracht: „Nicht nur meinen Kolleg:innen, sondern auch den Patient:innen kann ich durch mein Masterstudium ein besseres Verständnis über den Zusammenhang von Alltagsverhalten (Ernährung, Arbeit, Bewegung, Beziehungen etc.) und Gesundheit vermitteln. Wir tragen nun mal selbst die Verantwortung für unser Tun und damit für unsere Gesundheit, das sollte jedem immer wieder bewusst werden. Wenn wir unser Verhalten nicht regelmäßig reflektieren, geht unsere Energie verloren und damit auch unsere Gesundheit bzw. das Wohlbefinden.“

 

Dieser Artikel basiert auf einem Artikel, der im Magazin Physiopraxis erschienen ist: https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/a-2215-7594

Die Physiotherapeutin Christina Baumann ist 30 Jahre alt und arbeitet in einer Sportpraxis in Kirchheim unter Teck. Ihren Bachelor of Science in Physiotherapie absolvierte sie parallel zur Ausbildung in Tübingen. Ihren Master­studiengang „Prävention und Gesundheits­psychologie“ an der SRH Fernhochschule beendete sie erfolgreich im September 2023. Wenn sie nicht gerade 1000 Tage am Stück morgens 10 Kilometer joggt oder im Handstand durchs Fitnessstudio läuft, dann verbringt sie gerne ihre Zeit in den Bergen. Aber auch surfen an der Westküste Portugals lässt ihr Herz höherschlagen. Ihr Ziel ist die Selbst­ständigkeit mit einem ganzheitlichen Behandlungsansatz – denn Bewegung, Psyche und Ernährung sind für sie die Schlüssel­faktoren zur langfristigen Gesundheit.

Alexander Wendland ist Fachdozent für Psychologie und Wirtschaftspsychologie an der SRH Fernhochschule - The Mobile University.