Mutter, Sportsoldatin, Sportschützin, zweifache Olympia-Teilnehmerin und Fernstudentin. Das Leben von Jolyn Beer hat viele Facetten. Zukünftig wird ihr Schwerpunkt noch stärker auf der Familie und dem Studium liegen.
Die 30-jährige Sportschützin beendet mit Abschluss der Olympischen Spiele in Frankreich ihre internationale Karriere. Wir haben mit ihr im Teamquartier der Schützen in Châteauroux gesprochen.
Wer bei Schießsport zunächst an den letzten Actionfilm denkt oder gar einen Jäger mit altem schwerem Gewehr vor dem geistigen Auge hat, ist auf der falschen Fährte. Im professionellen Schießsport gibt es die ein oder andere Parallele zum Studium. "Die meiste Zeit stehen wir auf dem Schießstand, weil wir viele Wiederholungen brauchen, um Automatismen zu erarbeiten. Es dauert ungefähr 10.000 bis 15.000 Wiederholungen, bis eine Bewegung wirklich verinnerlicht ist", erklärt sie die Komplexität. Neben dem Training am Schießstand spielt auch Ausdauersport eine wichtige Rolle, um einen klaren Kopf zu bewahren und auch bei extremen Bedingungen wie Hitze optimal performen zu können. Sie betont: "Der Schießsport erfordert eine enorme mentale Stärke und Konzentration. Es geht darum, in jeder Situation die Ruhe zu bewahren und präzise zu sein." Fast wie im Studium also.
Platz 6 in Tokio 2020 – Ziel für Paris 2024?
Für Jolyn sind diese Olympischen Spiele etwas ganz Besonderes: Es sind ihre letzten großen internationalen Wettkämpfe. "Paris wird mein letzter großer internationaler Wettkampf sein. Dann werde ich die Nationalmannschaft verlassen und in der Bundesliga weiterhin aktiv sein, aber nicht mehr als Vollprofi“, erzählt sie uns mit einem Lächeln. Für die 30-Jährige war immer wichtig, selbst zu bestimmen, wann sie ihre internationale Karriere beenden möchte. Dieser Zeitpunkt ist für sie jetzt gekommen.
Auf der Schießanlage in Châteauroux, rund 250 Kilometer von Paris entfernt, geht sie im Dreistellungskampf mit einem Kleinkaliber an den Start. In diesem Wettkampf wird in drei Anschlagsarten geschossen: kniend, liegend und stehend. Es werden innerhalb von 90 Minuten 20 Schuss je Stellung abgegeben.
Zunächst steht die Qualifikation für die Runde der letzten acht Sportlerinnen an. Das sei auch ihr Minimalziel, so Beer. Eine Medaille zum Abschied nach dem sechsten Platz bei den letzten Spielen in Tokio wäre natürlich die Krönung, soweit möchte Jolyn aber nicht gehen. „Man muss auch demütig sein, ich kenne die Stärken meiner Konkurrentinnen. Am Ende ist so ein Finale nicht planbar. Wir werden sehen“, so die Sportschützin aus Goslar.
Und nach dem Finale folgt der nächste Schritt in ihrem Leben: „Ich möchte die Zeit, die ich durch den Rückzug aus dem internationalen Sport gewinne, für meine Familie und mein Studium nutzen. Es ist ein bewusster Schritt, der mir ermöglicht, meine Energie auf neue Ziele zu fokussieren."
Der Balanceakt zwischen Sport und Studium
Jolyn Beer ist nicht nur eine erfolgreiche Athletin, sondern auch ausgebildete Mechatronikerin und Fernstudentin im Studiengang Betriebswirtschaft und Digitalisierung an der SRH Fernhochschule. Ihr Studium hat sie während der Corona-Pandemie begonnen. "Während meiner Sportkarriere war das Studium für mich immer etwas, das ich nebenbei gemacht habe, und ich wusste, dass ich nach dem Leistungssport noch genug Zeit haben werde, es vernünftig fertigzustellen", erklärt sie.
Als Sportsoldatin bei der Bundeswehr bot ihr das Fernstudium die nötige Flexibilität, um sowohl ihre sportlichen als auch akademischen Ziele zu verfolgen. "Das wäre in der Form an einer stationären Uni nicht möglich gewesen. Die SRH gibt mir genügend Freiräume, mein Studium so zu gestalten, wie es geht. Mit zwei Kindern zu Hause ist das natürlich nicht nur als Leistungssportlerin ein riesiger Vorteil." Die Sportschützin ergänzt: "Das Studium gibt mir auch mentalen Ausgleich zum Sport. Es ist eine andere Art der Herausforderung, die ich sehr schätze."
Als Sportsoldatin der Bundeswehr erhält Jolyn nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch wertvolle Zeit für Training und Studium. Die Kooperation zwischen der Bundeswehr und der SRH Fernhochschule spielt dabei eine entscheidende Rolle. "Meine Beraterin vom Berufsförderungsdienst hatte bereits gute Kontakte zur SRH und positive Erfahrungen gemacht." Diese Unterstützung zeigt sich auch in der flexiblen Gestaltung ihres Studiums, wodurch sie sich optimal auf ihre sportlichen Ziele konzentrieren konnte. Auch nach der internationalen Karriere ist mit zwei Kindern und einem Haus in Sachen Studium weiterhin Flexibilität gefragt.
Die Zukunft nach der Sportkarriere
Nach ihrem Rückzug aus dem internationalen Wettkampfgeschehen will Jolyn ihren Fokus voll auf ihr Studium legen, um einen reibungslosen Berufseinstieg zu schaffen. "Mein Ziel war es immer mit dem Studium im Nachgang an die Sport- und Bundeswehrzeit gut aufgestellt zu sein. Mit dem BWL-Studium habe ich eine gute Grundlage, um zu schauen, wohin es mich treibt."
Die Leidenschaft, die Jolyn in ihre sportliche Karriere gesteckt hat, wird sie auch in ihre zukünftige berufliche Laufbahn einfließen lassen. "Ich habe eine abgeschlossene Berufsausbildung als Mechatronikerin und glaube, dass ich gut aufgestellt bin, um nach dem Studium eine interessante berufliche Perspektive zu finden." Sie plant, ihre Erfahrungen aus dem Sport und ihrem Studium zu kombinieren, um eine Rolle zu finden, in der sie ihre Fähigkeiten optimal nutzen kann.
Zum Abschied geht es nach Paris
Einen kleinen Wermutstropfen gibt es für die Sportschützen. Das Schießzentrum Châteauroux der Olympischen Spiele ist rund 250 Kilometer von Paris entfernt. Dementsprechend wohnt Jolyn Beer nicht im großen olympischen Dorf. Somit kommt das olympische Gefühl nur im kleineren Rahmen auf. „Hier ist alles ein wenig anders. Aber das hat auch Vorteile. Wir haben in Châteauroux zum Beispiel hervorragendes Essen“, erzählt sie mit einem Schmunzeln in Richtung der Beschwerden, die über das Essen im olympischen Dorf in Paris aufkamen. Dennoch zum Abschluss der Spiele hat der Deutsche Olympische Sportbund auch für die Schützen ein Hotel in Paris organisiert, sodass zur Abschlussfeier auch noch Olympia-Feeling in Paris aufkommen wird.
Wir drücken ganz fest die Daumen, dass sich Jolyn dann mit einem Erfolg von Paris und der internationalen Bühne verabschieden darf.
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